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/ Bangkok - Singapur EXPRESS

Malaysia, Pontian

Malaysia, 07. January 2018
Die letzten 48 Stunden waren hart.
Meine Reise stand knapp vor dem Abbruch und ich sah mich auf der Schlussetappe nach Singapur bereits im Taxi einreiten.
Nach 1.800 Kilometern also mein erster Platten. Und die Reserveschläuche, die ich immer mitführe, hatte ich kurz darauf ebenfalls ruiniert, weil ich den Nagel, der sich tief in den Mantel gebohrt hatte, einfach nicht entdeckt habe. Ja! Amüsiert euch nur. Ich könnte mich selber abwatschen. Das Drecksding hat sich richtig mies versteckt. Die Story rund um den Reifenwechsel samt Hilfeleistung eines malaysischen Fabriksarbeiters, der sich einen geschrumpften Gollum hält, den er Katze nennt, wird übrigens ein spin-off.
Ich beschließe, die Tagesetappe abzubrechen um wieder nach Batu Pahat zu kommen, das erst 15km zurück liegt. Ich schaffe es mit immer wieder Nachpumpen gerade 5km und lande bei 32° und 90% Luftfeuchtigkeit in der malaysischen Monotonie. Zunächst Unglück im Glück. Ich komme 220 Meter neben einem Fahrradhändler zum Stehen. Yeah! Doch Google flüstert mir, dass er erst Montag um 9:00h wieder öffnet, was mich schmerzlich daran erinnert, dass heute bereits Sonntag ist und ich am Dienstag in Singapur ankommen muss. Mittwoch Abend geht es bereits zum Flughafen. Wenn ich erst am Montag einen neuen Schlauch auftreiben sollte, schaff ich es nur noch über die Direttissima nach Singapur, das bedeutet eine Fahrt über die Hauptstraßen, das ist de facto Autobahn. Gefährlich und extrem unangenehm. Nicht zu machen. Dann lieber Bus oder Taxi.
Jetzt bin ich im A...usnahmezustand. Das hätten heute 99km werden sollen. Es ist bereits Mittag und ich bin in den Randbezirken von Batu Pahat gestrandet, schiebe mein Plattenrad zu den wenigen Minimärkten hier, die dem Sonntag trotzen und geöffnet haben. Doch niemand kann mir helfen. Kaum jemand spricht Englisch. Taxi kennt man, sei aber schwer herzubekommen. Dabei sehe ich sogar einen von diesen blau rot geschminkten Malaysia Trabis, die hier als Taxi dienen, vorbei rasen. Es hilft alles nichts. Ich spüre zum ersten Mal einen leichten Hauch von „Oh, fuck!“ über mich kommen. Aber ich hab schon die absurdesten Situationen auf diesen Reisen er- und überlebt, denn es gibt in diesen Ländern einen komplett unberechenbaren, nicht kalkulierbaren Faktor, auf den man sich aber immer verlassen kann: DIE MENSCHEN.
Irgendwer schickt mir auch heute die 5. Kavallerie. Diesmal in Person von Patrick Tan, einem chinesischen Malaysier, den ich in seinem geparkten pick-up Truck erspähe und mich mit Rad auf ihn zuschiebe. Währenddessen öffnet sich bereits die Fahrertür und noch bevor ich „ Can you help me, please?“, sagen kann werde ich „Can I help you?“ gefragt. Was dann in den folgenden Stunden passiert ist ein Beispiel an Hilfsbereitschaft, die ich noch nie zuvor erlebt habe. Rad aufs Auto, es geht im Eiltempo zurück nach Batu Pahat, von wo aus ich am Morgen gestartet bin. Drei Radhändler werden abgeklappert, alle geschlossen. Ja, das Sonntagsproblem. Ich stelle mich bereits auf eine Übernachtung ein. Ich höre immer nur „don’t worry, don’t worry!“ jetzt telefoniert er sich in die geheimen Zirkeln seines Freundeskreises, die hier in ihrer Freizeit etwas Seltsames betreiben: Mountainbiking. Innerlich muss ich schmunzeln, weil ich in der Umgebung Batu Pahats lediglich ein paar bedschungelte Hügel ausmachen kann. Erste Erfolgsmeldung. Ein Schlauch wurde aufgetrieben, aber falsche Dimension. „Don’t worry, don’t worry.“ Wir fahren quer durch Batu Pahat, um Schläuche verschiedener Dimensionen aufzutreiben, weil es meine partout nicht gibt, und landen bei einem Mechanikerfreund aus der Mountainbike Loge, der sich entscheidet, mir eine 0,5 Zoll größere Schlauchdimension zu verpassen. Mein Reifen wird gestopft wie eine Weihnachtsgans. Dann der große Moment - paff - meine Hoffnung auf Weiterfahrt löst sich in ausströmender Luft auf. Der von meinen chinesischen Freunden organisierte Schlauch hat ein kaputtes Ventil. Darf das bitte wahr sein? Vier Schläuche. Drei durchlöchert, einer hyperventiliert. Ich bin verzweifelt, sie lachen sich einen Ast, als wären vier hinige Fahrradschläuche an EINEM Tag für Chinesen ein Vorzeichen auf Glück und Wohlstand. Doch nun packt sie der Ehrgeiz. Ich werde kurzfristig zur Chefsache erklärt. Immer mehr Chinesen aus der Nachbarschaft tummeln sich um die Werkstatt, um den Fortschritt des Projekts MyTube zu verfolgen. Der Nächste trudelt mit einem weiteren überdimensionierten Schlauch ein, wieder wird gestopft. Und siehe da... es klappt. Ich habe nach Stunden einen funktionsfähigen Hinterreifen. Ich baue das Rad zusammen und will aufbrechen. Aber ich darf nicht. Es wird weiter telefoniert, um noch einen Schlauch dieser Dimension aufzutreiben, damit ich einen in Reserve habe. Ohne Reserveschlauch wollen sie mich nicht ziehen lassen. Nach weiteren fünfzehn Minuten bin ich doppelt beschlaucht und werde nach diesen aufreibenden Stunden von Patrick in die Garküche seines Freundes zum Essen eingeladen. Dabei eröffnet er mir, weil es bereits 15:00h ist, dass er mich nun mit dem Auto ins 99km entfernte Pontian, das eigentliche Endziel meiner heutigen Etappe, bringen wird, da ich es mit dem Rad vor Sonnenuntergang nicht mehr schaffen kann. Jetzt ist es mir langsam peinlich. Ich kann das nicht mehr annehmen. Ich lehne ab, habe aber keine Chance. Widerstand ist zwecklos. 45 Minuten später sitzen wir im Auto Richtung Pontian, nicht ohne seiner Familie vorgestellt worden zu sein und eine kleine Sightseeingtour absolviert zu haben, auf der ich die Highlights des Ortes, einen Tempel, ein kleine Moschee, das Krankenhaus und die neue Feuerwehrwache gezeigt bekomme.
Die 99 Kilometer nach Pontian dauern ewig. Mich plagt langsam das schlechte Gewissen, diesen Menschen so lange in Beschlag zu nehmen und bitte ihn, mich nach 50km abzusetzen. Ich erkläre, dass ich sonst mein zweites ehrgeiziges Ziel dieser Reise - neben der Ankunft in Singapur, auch die 2.000 Kilometer Marke zu knacken - nicht mehr schaffe, weil mein GPS tracker im Auto natürlich abgeschaltet bleibt. Anhand des nun weitaus geringeren Widerstands fühle ich, dass es ihm nun doch angenehmer erscheint, schon früher umkehren und zu seiner Familie zurückkehren zu können. Trotzdem fragt er mich beim Aussteigen: „Are you sure?“
Es ist kurz nach 17:00h. Für 44 km habe ich knappe zwei Stunden bis Sonnenuntergang.
„I’m sure.“
Die Herzlichkeit unserer Verabschiedung hat eine Intensität, die der Dauer unserer Bekanntschaft eigentlich nicht entsprechen kann. Und während ich auf einem staubigen Parkplatz irgendwo in Malaysia mein Rad vom Auto lade und diesem Menschen nie werde vergelten können, was er für mich getan hat, weiß ich auch nicht mehr, welche ehrlich gemeinten Worte heute öfter gefallen sind: „Don’t worry!“ oder „Thank you so much, Patrick.“
Noch 100 Kilometer bis Singapur.

Pontian

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