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/ Surftrip Costa Rica Nicaragua

Dipilto

Nicaragua, 25. October 2021
Umgebung der Finca
Kaffee, Reis und Bohnen - bienvenidos en el pais de café!

Am Montag 25.10. fahre ich mit dem Bus von Granada in die Hauptstadt Managua. Zwei Stunden später werde ich dort von Tim Willems abgeholt. Während den nächsten 5h Autofahrt von Managua nach Ocotal erfahre ich einiges über Nicaragua, die anstehenden Wahlen (die eigtl. keine sind, aber dazu später) und die Kaffeefarm respektive 'bridazul' (Kaffeetrocknerei und Vertrieb). Weil wir spät dran sind, gibts das Essen unterwegs (bestes Nica Fastfood 'Vigoron' = knuspriger Schweinebauch mit gekochten Yucastücken und Krautsalat). Übernachtet wird erstmal noch im Hotel in Ocotal und am nächsten Morgen gehts los mit dem Kaffeebusiness:

Tim Willems, Belgier, ausgebildeter Psychologe und schon viele Jahre an Kaffee interessiert, hat zusammen mit seiner nicaraguanischen Frau Claudia die Firma 'bridazul' im Jahr 2018 gegründet. Damals steckte Nicaragua gerade in einer ökonomischen und politischen Krise, weshalb mehrere kleinere Kaffeeproduzenten ihr Produkt auf dem internationalen Markt verkaufen wollten um einen besseren Preis zu erhalten. Leider fehlten ihnen die nötigen Kontakte oder finanziellen Mittel. Daher konnten sie die frisch geernteten Kaffeekirschen wie bis anhin nur an grosse Exporteure verkaufen, die einen Bruchteil des wahren Wertes des Produkts zahlen. Dies hat zur Geschäftsidee geführt: 'bridazul' versteht sich als Mittelsmann zwischen den Kaffeeproduzenten und Rohkaffeeeinkäufern. Sie trocknen und veredeln den Kaffee von inzwischen 30 Kaffeeproduzenten in sortenreinen Batches. Dank Tims und Claudias grossem internationalem Netzwerk aus Händlern, Röstereien, Cafés und Baristas erhalten die Kaffeeproduzenten nun einen internationalen Marktzugang - und einen besseren Preis für ihren Kaffee. 'bridazul' ist also nicht nur eine Kaffeetrocknerei oder ein Exporteur, sondern baut Beziehungen zwischen dem Kaffeeproduzenten und -händler, um sicherzustellen, dass jeder Akteur entlang der Wertschöpfungskette einen fairen Preis - der den wahren Wert des Produkts widerspiegelt - erhält. Ein gutes Beispiel wie dieses Businessmodell funktioniert, ist die Firma 'Kaffeemacher' aus Basel, die Kaffee röstet, 2 kleine Cafés betreibt und Miteigentümerin der Finca 'Santa Rita' in Dipilto, Nueva Segovia, Nicaragua ist. Die Finca 'Santa Rita' ist quasi ein Nachbar der Finca 'El Arbol', wo ich 4 Wochen verbracht habe. Beide arbeiten mit 'bridazul' zusammen. Wenn euch ihre Geschichte interessiert, hier die Links zu 'Kaffeemacher' und 'bridazul':

www.bridazul.com/ />
www.kaffeemacher.ch/ueber-uns/... />
Bei meinem erste Besuch bei 'bridazul' im Städtchen Ocotal, darf ich der Qualitätssicherung über die Schulter schauen. Ich bekomme von Gloria in Spanisch!, erklärt, wie man die Proben der angelieferten Bohnen im Laborröster röstet. Glücklicherweise kann sie mir das Ganze auch grad live vorzeigen, sonst hätte ich wohl das Meiste nicht verstanden 🙈 Dann röste ich gleich ein paar Proben selber und verbringe die Mittagspause mit den Mitarbeitern. Spätestens da realisiere ich, wie herausfordernd die nächsten Wochen sein werden bezüglich Veständigung und Austausch.

Später bringen mich Tim und Claudia zur Kaffee Finca 'El Arbol', die nochmal 30min Autofahrt nördlich von Ocotal auf 1100m liegt. Meinem Daheim für die nächsten 3 Wochen. Wir befinden uns nur noch 6 km von der hondurischen Landesgrenze entfernt, in einem Dschungel aus Laub- und Bananenbäumen und Kaffeesträuchern.

Auf der Fahrt schärft mir Claudia nochmal ein, worum es bei meinem Aufenthalt auf der Farm gehen soll: Ich darf gern überall wo ich Lust habe mitarbeiten, muss aber nicht. Es geht darum, sich möglichst viel / gut mit den Arbeitern auszutauschen. Natürlich ist der Austausch mit den lokalen Arbeitern der beste Weg um Spanisch zu lernen. Uuuund darum soll ich möglichst wenig mit den anderen Volunteers den Tag verbringen und bitte in Gegenwart der Fincamitarbeitern Spanisch sprechen! Ich bin einfach nur froh, bin ich nicht die einzige Voluntärin, nehme mir die Ratschläge aber zu Herzen 😅.

Als wir auf der Finca ankommen, werden wir von Chicho (Tschitscho) dem Hund und Jackie und Susanna, den anderen 2 Volunteers, empfangen. Ausserdem lerne ich Tremiño kennen, unter anderem pflegt er den riiiiesigen Garten inklusive Obst- und Gemüsebäumen, 100 Kräutern und Blumen.
Susanna und Jackie nehmen mich gleich mit auf eine 'Tour de Finca'. Hoch gehts, vorbei an 'el Arbol' einem grossen uralten Baum, der der Finca den Namen gab. Er ist beeindruckend, man kann seine Energie spüren, ein 'Kraftort', wie wohl mancher Yogi oder Spiritueller sagen würde. Wir schauen uns den Sonnenuntergang zwischen den Kaffeepflanzen hoch über der Finca an. Ich quetsche Susanna über die Insekten aus, die ächt eventuell auch in unser Zimmer kommen 🙈😆? 'Ach ja, heut morgen war grad eine Kakerlake auf der WC Papierrolle, aber Mensch, die tun dir ja nix, da gewöhnst du dich dran!' Oh dear...und dann das Zimmer respektive Stube und Küche: Da alles zur Seite hin offen oder zumindest am Dach nicht ganz zu ist, ist es ziemlich staubig, es hat viele Spinnweben und mindestens 2 Schmetterlinge, Nachtfalter, Grashüpfer und sonstiges Gekraxel pro Kubikmeter Luft. Tot oder lebendig 🙈. Aber alles schön gebaut ansonsten, sehe ich durchaus auch 😅. Ich schlucke zwei, dreimal leer und erinnere mich daran, dass Jackie bereits 2 Wochen hier ist und Susanna auch schon ein paar Tage und die können das auch. Also los!! Glücklicherweise darf ich das Moskitonetz von Benjamin, einem dritten Volunteer, behalten. So kann ich mir meine insektensichere Höhle um meine Matratze bauen. Benjamin warnt mich denn auch vor einem speziellen Mitbewohner unseres Zimmers: ein riesiger Käfer, oder ist es eine Spinne?, die an der Wand hinter dem Schrank hockt und in der Dunkelheit hervorkommt. 'He looks really scary but he doesn't do anything, don't worry'! und zeigt mir ein Bild! In der ersten Nacht bin ich mehr wach als am schlafen, fühle mich aber sicher in meiner Höhle. Nachts um 2 muss ich aufs Klo und begegne bei der Gelegenheit auch dem ominösen Käfer-Spinnenviech. Entgegen meiner Erwartung muss ich einfach nur laut loslachen, dass ich tatsächlich mit sowas im Zimmer schlafe...😂

Die nächsten Tage verbringe ich mit einer Kaffeedegustation, lerne den Weg nach Ocotal zu Fuss und dann mit Bus kennen (total ca. 1h) und helfe etwas mit dem Kaffee. Wir schichten halbtrockene Kaffeebohnen von einer Etage des Trockenhauses auf die andere oder bringen den fermentierten Kaffee ins Trockenhaus. Es ist die Ruhe vor dem Sturm, bevor die Kaffeeernte losgehen soll. Ab Freitag haben wir ausserdem Besuch von Isaac, einem Yogalehrer. Er wohnt das ganze Wochenende über mit uns und wir üben jeden Tag 2h Yoga und 1h Philosophie, wo wir die Parallelen der Yogalehre zu unserem Leben diskutieren. Ich finds sehr interessant und alle getrauen sich offen zu reden über die wichtigen und prägenden Momente in ihrem Leben. Was beeindruckend ist, wenn man bedenkt wie kurz wir uns erst kennen. Etwas, das mir schon damals auf meinem Australientrip aufgefallen ist: man kann manchmal ohne Mühe sehr Persönliches mit ziemlich fremden Menschen teilen 😅.
Ach ja: inzwischen haben wir noch 2 Volunteers mehr bekommen: Leah und Efrat.

Zu Beginn des Yogawochenendes bitten uns Tim und Claudia ins Yogazimmer. Beide, insbesondere Claudia, möchten uns nochmal vermitteln, was sie auf der Farm zu erreichen versuchen. Denn es geht um so viel mehr als nur darum, Kaffee profitabel zu produzieren. Es geht darum, dem Land, auf dem der Kaffee wächst, Sorge zu tragen. Darum, seine Arbeiter fair zu entlöhnen und alle gleich zu behandeln. Und es geht auch um Kultur, Geschlechterrollen und Claudias Rolle als Chefin einer Kaffeefarm - einer Männerwelt.
Vielleicht weil wir 5 Mädels sind, die gleichzeitig volunteeren oder vielleicht weil wir alle schon in Ocotal waren und die anzüglichen Blicke und das Nachgepfeife der Männer am eigenen Leib erfahren haben, startet Claudia hier:

In Nicaragua ist die Macho-Kultur immer noch weit verbreitet, Frauen stehen nicht für sich ein, werden fast immer betrogen, haben wenig Vertrauen in sich und ihre Fähigkeiten und sind meist zu Hause, wo sie sich um den Haushalt und die Kinder kümmern. Die Männer dagegen können keine Schwäche eingestehen, arbeiten lange Tage, oft für einen Lohn unter dem Existenzminimum, und können meist keine rein freundschaftliche Beziehung - ohne sexuellen Hintergrund - zu Frauen führen.

Claudia erzählt uns, sie sei im Wissen erzogen worden, dass alle Menschen gleich sind - Mann und Frau, Arbeiter und Chef, Kaffeebauer und Exporteur. Sie sagt, sie hätte sich nie wie eine typische nicaraguanische Frau gefühlt, weil sie immer gemacht hat was sie wollte, anstatt nur, was die Gesellschaft von ihr erwartete. Sie stand immer für sich und ihre Meinung ein und bot Männern wenn nötig Paroli. Sie hat gelernt, dass es wichtig ist, auch die Sichtweise der Männer verstehen zu wollen, wenn die Kommunikation und die Wertschätzung zwischen den Geschlechtern verbessert werden soll. Bis heute ist es für sie eine Herausforderung dieses Verständnis aufzubringen aber es ist unumgänglich um beide Seiten eines Konflikts zu verstehen. Es wurde ihr wichtig, eines Tages Teil eines gesellschaftlichen und kulturellen Wandels sein zu können, der eine bessere Verständigung und Wertschätzung zwischen den Frauen und Männern ihres Landes fördert.

Als sie die Finca El Arbol zu Teilen übernahm, inklusive der Arbeiter, entschied sie sich, hier einen Anfang zu machen. Sie sprach mit den Arbeitern um sich ein Bild von deren Realität als junge Männer in Nicaragua zu machen. Sie hat sich mit allen ihren Arbeitern hingesetzt und deren weiterführende Anstellung auf der Finca an Bedingungen geknüpft: dass sie die Offenheit aufbringen müssen, mit ihr als weibliche Führungsperson zu arbeiten und ausserdem aktiv an einem besseren Rollenverständnis von Frau und Mann arbeiten zu wollen. Dass sie sich mehr zu öffnen versuchen, auch gegenüber ihren eigenen Gefühlen und sich diesen bewusster werden. Auch heute spricht sie regelmässig mit ihnen über allfällige Schwierigkeiten aber auch Fortschritte, die sie gemeinsam erarbeiten.

Die meisten Arbeiter leben während 3 Wochen auf der Farm. Danach nehmen sie 4 Tage (während der Ernte) oder 10 Tage (ausserhalb der Ernte) frei um nach Hause zu fahren und ihre Familien zu sehen. Das heisst, während 3 Wochen erleben sie nicht viel anderes als Farmlife. Die meisten von ihnen werden Nicaragua oder Zentralamerika nie verlassen können, um ihren Horizont zu erweitern, anderes Essen zu probieren, neue Lebensformen zu erfahren. Dinge, die wir in unseren 'entwickelten Ländern' als selbstverständlich erachten und die auch meiner Meinung nach so häufig zu grösserer Offenheit und Toleranz gegenüber anders lebenden / glaubenden / praktizierenden Menschen führen.

Hier kommen die Volunteers zum Einsatz: 'El Arbol' beherbergt Volunteers für 30 US Dollar die Woche (Vollpension, Übernachtung), die etwas mithelfen wollen auf der Farm. Und dabei etwas lernen wollen über Nicaraguas Kultur indem sie voll ins Farmleben eintauchen, sich mit den Arbeitern unterhalten und Ideen austauschen. Am wichtigsten ist aber: Jeder Volunteer ist anders und jeder soll selber für sich entscheiden, was ihr/sein Beitrag zum Leben auf der Finca ist und was er/sie von seiner/ihrer Kultur da lassen will. So können die Arbeiter und Volunteers einen Blick auf die Kultur des anderen erhaschen, etwas Neues lernen und sich gleichzeitig in Offenheit gegenüber fremden Kulturen und Gebräuchen üben.
Es ist dieses 'selber definieren' meines Aufenthalts vor dem ich den grössten Respekt habe, wird mir erneut bewusst. Ich habe auch recht lange überlegt, ob der Aufenthalt auf dieser Farm tatsächlich etwas für mich ist. 'Vamos a ver' triffts glaubs gut, einer der meist gebrauchten Ausdrücke hier auf der Farm: 'wir werden sehen' 🙂

In den Tagen des Yogaweekends kochen wir viel zusammen. Ich bin voll in meinem Element, liebe es ohne Rezept zu kochen und neue Gemüse auszuprobieren. 2 der Volunteers ernähren sich vegan respektive glutenfrei und ich freue mich an der Challenge, entsprechend zu backen. Muchas gracias Leah por tú inspiración y la receta de Brownies vegana con frijoles, qué rico ❤!!

Normalerweise besteht unsere Ernährung aus Maistortillas, gekochten Bohnen (frijoles) und Reis. 3x täglich, auf dem Feuerherd in der Fincaküche von den Arbeitern zubereitet! Spätestens nach 5 Tagen trägt jede von uns einen schönen Blähbauch zur Schau 🙈. Glücklicherweise pendelt sich das irgendwann ein 😅. Ab und zu kochen wir uns noch ein Gemüse aus dem Garten dazu. Und zum Zmorga gibts meist einfach die Tortilla mit Banane, selbstgemachter Mangokonfi, Erdnussbutter und frischen Früchten. Und claro qué sí: viel Kaffee. Den muss man sich verdienen, nix mit schnell Knöpflidrücken an der Kapselmaschine: die Bohnen frisch mahlen, Wasser aufsetzen, über den Kaffee giessen, 2.5 Minuten warten, schwenken, abpressen und dann ist der Kaffee ready. Schmeckt dann aber auch richtig gut ☕

Und so startet meine 'experience' auf der Kaffeefarm 'El Arbol' mitten in coffee country, unter tausenden Sternen, ohne Spiegel und Kühlschrank, dafür mit frischem Gemüse und Früchten direkt ab Baum, ohne Sicherheit, dass es mir gefallen wird, dafür mehr denn je mit der Einstellung, mein Bestes zu geben.

Vamos a ver! Vamos a trabajar! Vamos a aprender espagñol! Bis später 😉
Favorite hour of the day at the sunset spot
Macho y Maja, zwei Hundegeschwister
Die Fincaküche, hier werden täglich Tortillas gebraten, Bohnen und Reis gekocht für 15 Personen
Zmorga Stimmig
En el autobus par Ocotal - die Busfahrten sind ein Erlebnis für sich!
La finca 'El Arbol'
El Chicho y las mandarinas - una mañana muy bonita
Vegane Schoggi Orangenkugeln
Lazy Saturday morning vibe at the finca
Un Curry vegan
'El Arbol' ❤
Auf Sonnenuntergangstour mit Rosco und den Girls

Dipilto

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